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Ausrüstung Langstrecke

Ich packe meinen Koffer mit..

Rennrad fahren heisst, Leichtigkeit erleben, Freiheit erfahren und zu spüren, was allein mit der Kraft der eigenen Beine so alles möglich ist. Bei Tagestouren reicht den meisten eine Satteltasche mit dem Allernötigsten, um im Falle eines Platten nicht auf den Telefonjoker angewiesen zu sein. Doch was braucht man eigentlich alles, wenn die Strecken länger als 200 Kilometer werden? Eines sei vorneweg gesagt. Ich kann hier nur für mich und meine ganz persönlichen Präferenzen sprechen und erhebe auch keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit. Außerdem ist die Ausrüstung auch zu einem großen Teil an die äußeren Gegebenheiten geknüpft wie Jahreszeit, Wetterprognose, Verpflegungsmöglichkeiten auf der Strecke usw. Außerdem ist da noch die Frage des individuellen Kompfortbedarfs und der persönlichen Risikobereitschaft. Aber dazu gleich mehr.

Um das Ganze etwas in ein wenig Struktur zu bringen, würde ich das hier mal etwas in Kategorien sortieren.

Rad und Mechanik

Hier geht es mir darum, mögliche Probleme unterwegs selbst lösen zu können.

Elektronik

Alles, was irgendwie Strom braucht, sollte diesen auch über die gesamte geplante Tourenlänge bekommen und vielleicht auch etwas länger.

 Klamotten

Hier gilt es die Strecke und den Wetterbericht näher anzuschauen. Wenn ich nachts auf 1500 Höhenmeter bin, herrschen dort sicher andere Temperaturen als nachmittags.

Ernährung

Was brauche ich und wie oft kann ich meine Reserven wieder auffüllen. 

Rad und Mechanik

Eines sollte klar sein. Man kann sich nicht auf alle Eventualitäten vorbereiten und ein bestimmtes Restrisiko besteht immer. Ich habe schon Randonneure kennengelernt, die ein Ersatzschaltauge dabei hatten oder auch mal ein paar Speichen. Vielleicht hilft es dem Kopf, wenn man sich für diese Fälle gewappnet fühlt, allerdings würde ich nachts sicherlich keine Speiche wechseln und ein Laufrad neu zentrieren an der Bushaltestelle. Essentiell ist es für mich, je nach Streckenlänge 1-2 Schläuche dabei zu haben und falls es mit dem Teufel zugeht, auch noch eine Packung Patches. Ich möchte hier keine leidige Tubeless-Diskussion vom Zaun brechen, aber für mich keine Option! (Bei 13K Kilometern im Jahr habe ich ca. 2-3 Platten)

Hier braucht es natürlich auch 3! vernünftige Reifenheber. Es geht nichts über die blauen Schwalbe. Um wieder Luft auf den Reifen zu bekommen habe ich sowohl eine kleine Handpumpe, die auf das Ventil gesteckt wird, nicht so Ding, das man darauf schraubt und nach jedem dritten Aufpumpen das komplette Ventil rausschraubt. Für Events, wo es um die Zeit geht, habe ich meistens noch zwei CO2-Kartuschen dabei sowie einen Adapter auf Autoventil zum Aufpumpen an der Tanke. 

Neben dem Luft-Gedöhns gehört mein Multitool zum Standard-Langstrecken-Kit inkl. Kettennieter. Generell empfiehlt es sich, mal zu Hause in aller Ruhe zu Schauen, was für Imbus und Torx-Schrauben man so an seinem Ross findet und, ob man dafür das passende Werkzeug parat hätte am Tool. Ich nehme gern noch ein Kettenschloss mit. Da ich elektronisch, bzw. hydraulisch unterwegs bin, kann ich die Ersatzzüge zu Hause lassen. Einen gerissenen Schaltzug hatte ich aber auch schon in den guten alten mechanischen Zeiten. Zu guter letzt habe ich immer noch 2 Gummihandschuhe dabei, da ich daran glaube, dass Radsport heute sauber ist. Und etwas Kettenfett für die langen Dinger.

 

Elektronik

Auch wenn Ultra-Radsport etwas archaisch ist, kommt er längst nicht mehr ohne all die tollen Gadgets aus, die uns das Leben leichter machen. Und diese brauchen natürlich Saft. Die Frage aller Fragen ist hier natürlich Dynamo oder Akku. Das möchte ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen und hier erstmal auf mein bisheriges Setup eingehen – ohne Nabendynamo. Die DI2-Schaltung hält sicher mehr als 1000 Kilometer. Bei Paris-Brest-Paris kam ich nach 1200 Kilometern mit 40 Prozent ins Ziel. Für längere Strecken stellt sich die Frage, wie man hier am besten nachlädt, da das Schalten während des Ladens nicht möglich ist. Wenn du länger als deine Schaltung durchhältst, hast du also ein ernsthaftes Problem. Für alle Normalsterblichen und amphetaminfreien Sportler lässt sich das sicherlich in einer Schlafpause erledigen. Neben der Schaltung ist Licht natürlich ein wichtiges Thema. Hier bin ich mit zwei Systemen unterwegs, wobei ich so plane, dass ich mein zweites System ausschließlich als Backup dabei habe. Primär fahre ich mit einer Lupine Mono SL vorn und einem Garmin Varia Radar 515 hinten. Ja, ich weiß, dass es in DE nicht zulässig ist, aber das (theoretische) Verwarnungsgeld ist gut investiert in die eigene Sicherheit. Als Backup habe ich noch mein Cateye 70.1 vorn und ein BM-Diodenrücklicht (StVO-zugelassen :-). Das 516er-Radar hält etwa 9 Stunden. Bei dem 515 ist die Laufzeit geringer als beim 516, da es in allen Modi heller leuchtet als die StVO-Schwester. Die Lupine hält im mittelstarken Modus (Abblendlicht) ca. 4 Stunden. Im Sparmodus 16 Stunden. Das Gute an der Lupine ist, dass man sie bei leerem Akku einfach über eine normale Powerbank betreiben kann. Neben dem Licht habe ich noch das Garmin und das Telefon, die ab und zu etwas Nachladung benötigen. Da das Telefon bei mit im Energiesparmodus läuft bei sehr langen Strecken ist das aber eher kein großes Thema. Auch das Garmin hält 24+ Stunden. Bei dem Edge 1040 Solar steht der Feldtest noch an. Zum Livetracking für die liebsten Menschen zu Hause nutze ich einen Greta-Tracker, der mit einem Sendungsintervall von 10-30 Minuten tagelang durchhält und vollkommen unabhängig von Garmin und Telefon ständig meine Postition über eine integrierte SIM-Karte per Mobilfunknetz nach Hause sendet. 

 

Klamotten und Textilien

Hier stelle ich mir immer die Frage, wie lange ich wohl unterwegs sein werde und wann ich mit welchem Wetter zu rechnen habe? Bei 600 Kilometern kann ich bei guten Bedingungen durchfahren. Bei längeren Strecken braucht es entweder ein Hotelzimmer oder noch etwas, um zur Not draußen übernachten zu können. Ich persönlich kam bislang um Biwaksack herum. Mit einem kompakten Schlafsack und einer Rettungsdecke ging es auf den 1000er Brevet in Sachsen. Es ging zur Not 🙂

Auch habe ich bisher auf den Komfort einer zweiten Hose verzichtet, was bei Strecken über 1000 schon überlegenswert ist. Ich gehe mal von einer typischen Langstrecke im Sommer aus für die ich folgendes einplanen würde:

Hose

Macht immer Sinn, es sei denn es handelt sich um ein Brevet der Nacktradler. Die Frage nach dem richtigen Polster ist ein anderes Thema.

 Unterhemd

Kühlt und wärmt.

Trikot kurz

Auf langen Strecken gern eins mit vielen Taschen und einem Reißverschlussfach für Kleingeld oder Kreditkarte.

 Armlinge

 Weste (oder Windjacke)

Wenn es doch etwas kühler wird, nehme ich manchmal anstelle der Weste die Jacke, aber meist reicht mir die Weste. Bei der kann es nur bei kühlen Temperaturen an den Oberarmen kalt werden – also dem Bereich, den die Weste nicht mehr abdeckt und die Armling noch nicht übernommen haben.

 Regenjacke

Je nach Wetterprognose lasse ich sie auch schon mal zu Hause (Dann habe ich aber immer die Windjacke dabei). Andersherum verzichte ich auch manchmal auf Weste und Windjacke und nehme stattdessen nur die Regenjacke mit. Dann habe die in manch kühler Nacht einfach zwischen Unterhemd und Trikot auf der Oberkörper ausgebreitet und als Windstopper zweckentfremdet.

 Knielinge (oder Beinlinge)

Im Sommer brauche ich selten lange Beinlinge, daher reichen mir die Knielinge, die man auch etwas kompakter verpacken kann. 

 Handschuhe 

Kurz und lang, wenn kalte Temperaturen zu erwarten sind insbesondere nachts in den Bergen. Habe mich hier auch schon mal verpokert und hab mir dann nachts Dieselhandschuhe an einer geschlossenen Tankstelle holen müssen, um in den Abfahrten noch etwas Gefühl in den Fingern zu haben – Kann ich nicht empfehlen.

Socken

Auch hier fahre ich gern oft mit wasser- und winddichten Socken, wenn unbeständiges Wetter bevorsteht. Viel wichtiger ist allerdings, dass die Socken farblich zum Trikot passen.

 Überschuhe

Wenn feststeht oder eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass es unterwegs nicht trocken bleibt, nehme ich leichte Überschuhe inkl. Gummigamschen mit. Damit kann ich im Falles des Falles die Füße hermetisch verschweißen. Allerdings sollten man die Schuhe anschließend am besten nicht in geschlossen Räumen öffnen.  

Regenhose

Nur wenn klar ist, dass es nass wird, kommt die mit. Temperaturen lang oder kurz. Eine lange Regenhose wird schnell zum Gewächshaus und wenn alles darunter einmal nass ist, wird es schwer, sich wieder davon zu trennen oder auszukühlen. 

Helm und Brille

Bei Strecken, die einen ausgewogenen Anteil an Dunkelheit mit sich bringen, fahre ich selbsttönende Gläser. Damit muss keine Brille (oder Glas) wechseln, wenn sich die Lichtverhältnisse ändern.

 

Ernährung

Das wird hier keine sporternährungswissenschaftliche Abhandlung über die optimale Ernährung auf Langstrecken, da unsere Verpflegungsstationen meist hinter Zapfsäulen liegen und man zwischen Bockwurst und Snickers recht lange nach Endurance Nutrition suchen kann. Ich persönlich fahre gern mit einem Vorrat an Maltodextrin und Co. Hier habe ich aber einigermaßen lange herumexperimentiert, um herauszufinden, wogegen mein Magen kein Veto einlegt. Ich würde rückblickend den erste Selbstversuch auf ein 400-Kilometer-Brevet verlegen. Aber mittlerweile fahre ich damit ganz gut und habe auch nie wieder einen Hungerast gehabt. Ich ernähre mich aber auf Langstrecken nicht ausschließlich davon. Aber auch so kommt schon eine Menge zusammen, selbst, wenn ich nur einen Teil meines Energiebedarfs damit decke. So hatte ich 2023 beim Start von Paris-Brest-Paris neben meiner Rahmentasche einen kleinen Rucksack mit Malto dabei für den „Anfang“ der Strecke. „Anfang hieß dabei, die ersten 600 Kilometer. Hier werde ich auch noch optimieren an meinem Setup, aber die Wahl der passenden Packtaschen ist wohl ein eigenes Thema für demnächst hier.

 Bis dahin, Kette rechts.

 

Martin

 

 

Über mich

Über mich

Martin Lechtschewski

Randonneur & Blogger

Hi, ich bin Martin und das Radfahren ist eine der wichtigsten Konstanten in meinem Leben. Die Faszination für Abenteuer hat mich zunächst zum Radreisen gebracht. Damals rollte ich noch behäbig über Tage bis Wochen mit 40 Kilo Gepäck über die Straßen Europas. Dabei war es immer diese eine Frage, die mich antrieb, weiter in die Pedale zu treten: "Wie ist es wohl auf den Sattel zu steigen und aus eigener Kraft eine anfangs scheinbar unwirkliche Entfernung zu überwinden, hohe Berge zu bezwingen, fremde Länder zu durchqueren und verschiedensten Menschen zu begegnen?"

Heute kann ich sagen, es ist vor allem eine Begegnung mit sich selbst. Der Moment des Starts und das Erreichen des Zieles spielen am Ende nur Nebenrollen -  Es geht vor allem um die Wege dazwischen.

Da es der Alttag nicht ohne weiteres zulässt, 5-6 Wochen am Stück auf dem Rad zu verbringen, landete ich schließlich beim Renndradfahren auf langen Strecken mit möglichst wenig Gepäck. Statt einen Monat bin ich dabei nur ein paar Stunden (bisher nicht mehr als 86) unterwegs und tauche schon mit der ersten Pedalumdrehung ins Abenteuer ein. Heute sagt man dazu Ultracycling, vielleicht auch Bikepacking

Mir geht es um DIE WEGE DAZWISCHEN