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Paris Brest Paris 2019

Route auf Komoot

Die Nacht ist kälter als erwartet, das Ziel laut Karte auf dem kleinen Display vor mir schon sehr nah. Aber zu sehen es noch nicht. Eingehüllt in das Schwarz dieser französischen Spätsommernacht folge ich stoisch dem schmalen Lichtkegel, den mein Scheinwerfer ins Dunkel schneidet. Entlang von kerzengeraden Straßen werde ich nur gelegentlich von ein paar Autos überholt. Immer wieder drehe ich mich um, aber ich bin allein. Keiner folgt mir. Ich male mir im Kopf aus, wie es sich wohl anfühlen wird, gleich bei Anne zu sein, die gemeinsam mit Carolin schon seit Stunden im Ziel ausharrt. Ich will einfach nur noch ankommen. Meine Beine fühlen sich noch erstaunlich frisch an, aber die Handballen geben bei jeder noch so kleinen Unebenheit auf dem Asphalt schmerzende Schreie ab und meine Sitzknochen danken es mir, wenn ich jeden noch so kleinen Anstieg nutze, um aus dem Sattel zu gehen. So fühlt sich Paris-Brest-Paris auf der Zielgeraden an. Ich bin müde, aber klar im Kopf. Das weiße Kaninchen, das plötzlich vor mir auf der Straße sitzt und genau so erschrocken ist wie ich, ist real! Oder doch nicht? Mit Sicherheit kann ich es nicht sagen.

 

Seit 58 Stunden und 1215 Kilometern sitze ich mittlerweile auf dem Rad. Zwei Mal habe ich die Augen zu gemacht und in Summe kaum zwei Stunden geschlafen – Einmal eine halbe Stunde in der Nachmittagssonne auf eine Wiese in Brest zur Halbzeit nach 610 gefahren Kilometern und einmal in der zweiten Nacht mit dem Kopf auf einer Tischplatte. Während ich 2015 gemeinsam mit Benedikt und Toni nur im Zeitlimit von 90 Stunden ankommen wollte, hatte ich mir für dieses Jahr höchstens 60 Stunden zum Ziel gesetzt. Einen konkreten Zeitplan dazu habe ich mir nicht gemacht. Zu viele Faktoren, die da reinspielen. Ich wollte einfach fahren, ohne mir Gedanken machen zu müssen. Die Vorstellung, dass ich erst vor zwei Tagen mein Rad in den Startbereich geschoben habe, begleitet von Anne, Carolin und Maren, wirkt skurril. So viele Begegnungen haben die letzten beiden Tage und Nächte geprägt, dass der Start so unendlich weit zurück liegt – nicht nur was die seit dem gefahren Kilometer anbelangt.

58 Stunden vorher

Nachdem ich mich von Anne verabschiedet habe, rolle ich in die Startreihe von Block A. Noch herrscht eine lockere Atmosphäre. Jeder scheint jemanden gefunden zu haben, mit dem er gemeinsam startet. Ich bin allein mittendrin und freue mich, gleich in die Pedale zu treten. Wie viele Kilometer habe ich im Sattel verbracht, um jetzt hier zu stehen? Während ich die Brevetsaison noch einmal im Kopf Revue passieren lasse, steht Marcus auf einmal neben mir. Gemeinsam hatten wir den 400er dieses Jahr bei Dauerregen durchgestanden. Das verbindet! Ich weiß, dass er im Startblock C ist, also eine halbe Stunde nach mir starten wird. Mir ist auch klar, dass diese halbe Stunde bei Paris-Brest-Paris keine große Rolle spielen wird. Wir plaudern ein wenig, wünschen uns eine gute Fahrt und insgeheim weiß ich noch vor dem Start, dass wir uns unterwegs wiedersehen werden. Kurz nach 16:00 Uhrwerden die Radfahrer um mich herum immer unruhiger. Jeden Moment muss der Startschuss fallen. Kaum verständlich wird in auf der Bühne 200 Meter vor mir so etwas wie ein Countdown herunter gezählt. Die ersten Radfahrer scheinen sich in Bewegung zu setzen, es dauert noch eine Weile, bis die Bewegungswelle auch bei mir angekommen ist und ich endlich beide Schuhe in die Pedale klicke. Ein letztes Mal winke ich meinen Begleiterinnen um Anne und den vielen, vielen Menschen, die das erste Peloton feierlich auf die 1200 Kilometer lange Reise schicken.

    Windkante und Positionskämpfe 1200 Kilometer vor dem Ziel

    Ich suche mir zunächst eine Position in der großen Hauptgruppe. Auf den gesperrten Straßen gleicht das Ganze eher einem Rennen als einem Brevet. Vor dem Peloton fährt ein Auto der Organisatoren, zwischendrin Motorräder, die potentielle Gefahrenstellen absichern. Dennoch gibt es immer wieder gefährliche Ziehharmonika-Effekte an Engstellen. An den ersten kleinen Anstiegen arbeite ich mich weiter und weiter im Feld nach vorn, um der Gefahr eines Sturzes aus dem Weg zu gehen. An den Abfahrten lasse ich immer etwas mehr Abstand zu meinem Vordermann, was andere Randonneure immer wieder als Einladung empfinden, von hinten in die Lücke reinzufahren. Ich weiß, dass ich das jetzt einfach durchstehen muss, bis sich die Gruppe ausdünnen wird. Allerdings geht das sehr langsam vonstatten. Bis zum ersten Verpflegungspunkt bei Kilometer 115 waren von den über 200 Fahrern noch etwa ein Drittel übrig. Da mein Wasser aufgebraucht ist, muss ich kurz halten und die Flaschen befüllen. Aus der Station heraus bin ich plötzlich allein mit einem weiteren Mitstreiter. Vor uns fährt eine kleine Gruppe. Gemeinsam arbeiten wir uns an diese heran. In der Zehnerformation ist es jetzt wesentlich entspannter. Die Sonne geht langsam unter. Neben mir erkenne ich einen Deutschen an seinem Rahmenschild. Ich spreche ihn an. Er stellt sich als Ben vor. Gemeinsam rollen wir locker in der Gruppe mit und quatschen dabei über verschiedene Radtouren und Südostasienreisen – Müdigkeit verspüre ich nicht.

    Auf zur ersten Kontrolle

    Da Bens Wasservorräte aufgebraucht sind, ich aber noch genug habe, gebe ich ihm was ab. Er bedankt sich sehr für diese Geste, aber darum geht es doch beim Brevetfahren. Mitfahrer sind keine Konkurrenz, sondern Menschen, die das gleiche Ziel verfolgen, auch wenn sich Art und Weise in dessen Erreichung sich stark unterscheiden können. Ben erzählt mir von einem befreundeten Sportfotografen, der ihm per Livetracking verfolge und an bestimmten Punkte abpassen will. Tatsächlich taucht wenige Minuten später neben der Gruppe plötzlich ein Radfahrer mit Kamera auf dem Rücken auf und fragt nach einem Ben. Ich wende mich an diesen und plötzlich fällt mir anhand seines Nachnamens auf, dass ich ja ihn über Strava kenne. Verrückt, wenn es Social Media ins wahre Leben schafft! Gemeinsam rollen wir bis zu ersten Kontrolle nach 216 Kilometern in Villaines la Juhel.

    Ich brauche jetzt allerdings erstmal was zu essen. Die Kontrollstelle ist ausgesprochen leer. Bei meiner ersten Teilnahme 2015 musste ich an den Kontrollstellen ständig lange anstehen, um etwas Warmes zu essen zu bekommen. Hier wirkt es so, als wären die vielen Freiwilligen gerade mit dem Aufbau fertig geworden. Allerdings ist die Auswahl an Essen auf Süßkram und Baguette beschränkt. So groß ist der Hunger dann doch noch nicht. Also trinke ich einen Kaffee und kaufe mir zwei Bananen und starte wieder in die Nacht – zunächst allein. Es ist mittlerweile recht ruhig geworden. Vor mir sehe ich zwei Rücklichter. Meter für Meter nähere ich mich von hinten an sie heran. An dem langen Anstieg rolle ich an den beiden Randonneuren vorbei. Es dauert eine Weile bis sich wieder eine kleine Gruppe bildet. Jetzt merke ich, wie meine Beine das erste Mal etwas schwerer werden. Ich kenne dieses Gefühl. Ich hatte es beim 600er am Brockenanstieg (auch nach ca. 200 Kilometern). Ich nehme etwas Kraft heraus und lasse die Gruppe wieder ziehen. Irgendwo in einer Einfahrt am Straßenrand halte ich an und atme tief durch. Meine Magen knurrt, bis zur nächsten Kontrolle sind es noch ca 80 Kilometer. Hätte ich mir doch so ein Weißbrot mitnehmen sollen? Ich esse eine Banane und quetsche mir ein Gel in den Mund. Nach 5 Minuten beginne ich wieder, langsam in die Pedale zu treten und spüre, wie allmählich die Kraft zurückkommt. Bald treffe ich auf einen französischen Randonneur, dessen Fahrstil gut zu meinem passt. Wir kommen zusammen zügig durch die Nacht, überholen einige kleine Gruppen, bis wir schließlich selbst zu einer kleinen Gruppe heranwachsen, wobei der Franzose und ich uns vorn in die Arbeit einteilen, während hinten gelutscht wird, was das Zeug hält. Spaß macht es uns trotzdem und die nächste Kontrolle in Fougeres nach 305 Kilometern ist 2:30 Uhr erreicht.

    Endlich  Pasta, Kaffee und Croissants

    Hier hole ich das nach, was ich bei der ersten Kontrolle verpasst habe. Es gibt Pasta, Kaffee und Croissant – ein echtes Radfahrerfrühstück halt. Danach breche ich abermals allein auf. Der Himmel färbt sich allmählich blau und die Sonne geht langsam auf, während der Gegenwind immer stärker wird. Ich wünsche mir eine Gruppe herbei. Aber weder vor noch hinter mir erblicke ich Randonneure. Allein fahre ich in den neuen Tag. In den Dörfern und Städtchen ist alles noch sehr still. Gelegentlich erblicke ich aufgebaute Tische in den Einfahrten, die wohl im Laufe des Tages zum beliebten Radfahrerbuffet werden, an denen die Menschen den Sportlern Wasser, Kaffee und Snacks reichen. Um diese frühe Morgenstunde grüßen mich nur ein paar Bauern, die gerade ihre Traktoren auf die Felder fahren. Der Wind bläst mir laut in die Ohren, selbst bergab komme ich nicht so recht ins Rollen. Als ich am gerade am Straßenrand meine Ärmlinge ausziehe rauscht eine kleine Gruppe an mir vorbei. Es ist die Gruppe, die ich nach meinen Hungerast  letzte Nacht hatte ziehen lassen. Irgendwie musste ich sie wieder überholt haben. Egal, ich beeile mich, um mit auf den Zug aufzuspringen. Mein Puls kratzt an der 180, aber mein Abstand zur Gruppe wird bei diesem flachen Profil nicht kleiner. Ich weiß, dass es bei der Kraftanstrenngung nicht lange dauern wird, bis das Laktat in den Beinen „Hallo!“ sagt  und nehme das Tempo raus. Diesen Zug habe ich leider verpasst und rolle abermals allein weiter und erreiche 8:00 Uhr Loudac nach 445 Kilometern.Abermals setze ich meinen Weg im Solo fort. Nach wenigen Kilometern kommt mir ein Eidgenosse entgegen, der sich nicht sicher ist, ob er auf der richtigen Route befindet. Gemeinsam fahren wir kilometerlang wortlos durch die immer hügeliger werdende Landschaft. Schließlich kommen wir dann doch etwas ins Gespräch und sammeln bis zur nächsten Kontrolle in Carhaix (KM 522) noch ein paar Randonneure auf.

    Allein Richtung Atlantik

    In der hügeligen Landschaft der Halbzeitzielgeraden vor Brest bin ich wieder allein unterwegs. Von der Küste her weht mir ein harter Westwind entgegen. Ich sage mir, wenn der so bleibt, dann rollt es bald wieder um einiges besser, wenn ich auf dem Rückweg bin. Die Kilometer auf dem GPS verändern sich nur noch im Zeitlupentempo und so bewege ich mich auch. Dann plötzlich ein Hupen aus einem Auto, gefolgt von einem freudigen Allez`, allez`! Es kann nicht mehr weit sein? Kinder am Straßenrand strecken ihre Hände zum High-Five aus. Hier wissen alle, was der sonderbare Radfahrer vorhat – und was bereits hinter sich! Ein neuer Energieschub durchfährt mich und im nächsten Moment rolle ich über den letzten Hügel, der den Blick auf den Atlantik freigibt. Brest ist erreicht. Vor der Brücke empfängt mich ein Komitee aus Einheimischen mit Crepes, Erdbeeren, Nektarinen, Saft undWasser. Ich freue mich über die netten Unterstützer, nehme mir die Zeit, einen kurzen Plausch mit ihnen zu halten und bedanke mich dafür, dass sie Paris-Brest zu dem machen, was es ist. Bei der anschließenden Brückenüberfahrt bläst der Wind so hart von der Seite, dass ich Mühe habe, das Rad zu halten. Nachdem ich mir den wichtigsten Stempel des Brevets geholt habe, rollt auch Marcus in Brest ein. Wir beschließen nach einer Pause und Nickerchen in der Sonne gemeinsam zurück nach Paris zu fahren.

    Halbzeit in Brest

    Ich bin irgendwie viel zu aufgewühlt, um gleich auf dem Grasbett einschlafen zu können, so wird aus der vereinbarten Stunde auf der Wiese nur eine halbe Stunde Schlaf, bevor uns der Wecker an die bevorstehende Rückreise erinnert. Nach einem schnellen Kaffee, während Marcus einen Platten behebt (besser hier als nachts auf der Straße), rollen wir gemeinsam Richtung Osten. Da der Rückweg größtenteils dem Hinweg gleicht, kommen uns bald immer mehr Radfahrer entgegen. Anfangs grüßen wir noch ein paar Mal, aber das wird bald zu anstrengend, so dass wir es sein lassen.

    Die Sonne steht bereits recht tief. Wir entscheiden uns bewusst, im Duett zu bleiben, da wir keine rechte Lust auf eine anstrengende Gruppe mit übermüdeten Radfahrern haben. Marcus steckt noch die Autofahrt von Dresden nach Paris in den Knochen. Er erzählt mir, wie er schon in der ersten Nacht mit der Müdigkeit zu kämpfen hatte und das wird in der zweiten Nacht nach dem kurzem Nickerchen in Brest natürlich nicht besser. Und auch ich sehne mich nach etwas mehr Schlaf. Dazu kommt die Kälte der zweiten Nacht. Wir beschließen, bei der Kontrolle in Loudac (KM 780), die wir 4:00 Uhr erreichen, nach einer warmen Mahlzeit eine 90-minütige Schlafpause einzulegen. Ich lege meinen Kopf neben das Tablett vor mir und schlafe sofort ein. Marcus tut es mir gleich. Als der Wecker klingelt, wird noch etwas gesnoozed, bevor wir uns etwas schwerfällig wieder zu unseren Rädern bewegen. Wir treten in die morgendliche Kälte und wissen, dass wir schnell in Bewegung kommen müssen, um nicht mehr zu frieren. Heute wird schon unser letzter Tag sein. Der Sonnenaufgang motiviert uns und meine Müdigkeit verfliegt mit jedem Kilometer. Das Feld ist mittlerweile so verteilt, dass wir nur selten auf kleine Gruppen treffen, hin und wieder  begegnen uns ein paar Einzelkämpfer. Der Gegenverkehr an Randonneuren wird immer weniger. Mit Marcus zu fahren, ist für mich sehr angenehm. Wir halten in etwa die gleiche Pace. Nur in den Abfahrten muss ich echt reihalten, um an ihm dranzubleiben. Plötzlich klagt er über ein paar Schmerzen im Knie. Wir fahren etwas ruhiger. Bei dem berühmten Postkarten-Crep-Stand gönnen wir uns auch eine Pause. Die Crepes sind erstklassig, aber leider können sie nichts gegen die Schmerzen in Marcus Knie ausrichten und so werden wir immer langsamer. Schließlich holt sich Marcus telefonische Fachberatung von zu Hause ein. Eine Ferndiagnose gestaltet sich aber schwierig. Da ich nicht noch eine Nacht ohne Schlaf durchstehe, entscheide ich mich, allein weiterzufahren. Wir klopfen uns gegenseitig auf die Schultern. Ich finde es sehr schade, dass wir beide wohl nicht gemeinsam durch das Ziel rollen können. Anne hatte schließlich schon ein zweites Bier organisiert. Aber auch das gehört manchmal zum Brevet dazu. Beim 1000er im letzten Jahr hatte es eine ähnliche Situation gegeben, als Toni wegen Knieproblemen sogar komplett aussteigen musste.

    Auf zum 200 Kilometer-Zielsprint

    Jetzt bin ich 230 Kilometer vor dem Ziel wieder allein. Ich rechne im Kopf das erste Mal durch und weiß, dass ich es nicht mehr vor Mitternacht ins Ziel schaffen werde. Ich fürchte, dass mich bei Einbruch der Dunkelheit die Müdigkeit überfallen wird und habe jetzt nur einen Plan: So viele Kilometer wie möglich bei Tageslicht abzuspulen. Ich trete rein, was die Beine hergeben und bin überrascht, wieviel da noch geht. Mein Puls bewegt sich wieder nach oben in den Bereich von 150. In der hügeligen Landschaft knalle ich an Mitstreitern vorbei, die mich für einen Irren halten müssen. Ich habe jetzt aber auch gar kein Interesse mehr, neue Mitfahrer zu finden. Schnell erreiche ich Villaines la Juhel (KM 1010), wo ich mich nicht lange aufhalte, sondern nur stempeln lasse und weiter sprinte nach Mortagne au Perche (KM 1095). Hier gönne ich mir noch ein Portion Pasta in der menschenleeren Cafeteria, bevor ich meine Weste überziehe und mit der untergehenden Sonne im Rücken in die dritte Nacht fahre. Ich überhole noch drei Randonneure und dann bin ich allein mit mir selbst. Die Dunkelheit erfordert mir viel Konzentration ab, aber meine Gedanken sind so klar wie der Sternenhimmel über mir. Die letzte Kontrolle vor dem Ziel in Dreux (KM 1172) lasse ich auch schnell hinter mir. Zwischen Radparkplatz und Stempelkontrolle beantworte ich einem britischen Journalisten noch ein paar Interviewfragen und bin überrascht, wie flüssig mir die englischen Sätze noch aus dem Mund kommen.

    Da vorn ist doch schon Paris

    Auf den letzten Kilometern Richtung Ramboulliet wird die Strecke sehr eintönig. Die Straßen führen meist kerzengerade über Felder. Vor mir strahlt der helle Mond. „Dort muss das Ziel sein“, denke ich mir bei jedem städtischen Lichtschein am Horizont. Der Track auf dem Navi zeigt mir allerdings, dass es noch ein paar Kilometer sein müssen. Jetzt kann es nicht mehr weit sein. Ich erkenne die Straße wieder. Hier war ich schon mal – vor einer Ewigkeit oder vor 58 Stunden? Ein letztes Mal gehe ich aus dem Sattel, ein letztes Mal trete ich in die Pedale und fahre an den am Schlosspark abgestellten Wohnmobilen hinauf zum Zielstrich an der Bergerie. Nach der letzten Kurve erblicke ich Anne, die mich mit ausgebreiteten Armen empfängt. Es ist ein sehr emotionaler Moment und der krönende Abschluss einer 58-Stündigen Reise, die uns beide schon so viel länger beschäftigt hat.

    Ich bin so glücklich und dankbar, wieder zurück zu sein bei meiner Liebe, dass ich gar nicht über die 60 Stunden nachdenke oder darüber, dass ich mit meiner Zeit unter den schnellsten drei Prozent vom PBP 2019 bin. Das alles ist zweitrangig, wenn die Erfahrung das Ziel ist. Paris-Brest-Paris – Das sind nicht nur die Randonneure aus aller Welt. Es sind auch die Einheimischen in allen beteiligten Gemeinden, die diese Traditionsveranstaltung am Leben halten und mit viel Gastfreundschaft und Selbstlosigkeit PBP zu dem machen, was es ist. Ich werde sicher wieder zurückkehren. Ich weiß nur noch nicht, auf welche Art und Weise ich dann mein Ziel erreichen möchte.

    Tour

    Details

     

    Es ist der Klassiker der Rennrad-Langstrecke, der alle 4 Jahre von der französischen Hauptstadt an den Atlantik führt und wieder zurück. Offizielle Verpflegungsstationen gibt es ca. alle 80 Kilometer, aber im Grunde ist es das längste Volksfest der Welt. Auf den 1200 Kilometern steht eigentlich in jedem Dorf jemand, der einem Wasser, Kaffee, Crêpes oder alles auf einmal reicht. Das Zeitlimit beträgt 80 oder 90 Stunden. Ein abwechslungsreiches Abenteuer, bei dem man nur auf eins verzichten muss: ausreichend Schlaf.

    • Anspruch (Gesamt) 95% 95%
    • Klettern 50% 50%
    • Abwechslung 60% 60%
    • Untergrund 90% 90%
    • Mentaler Anspruch 90% 90%

    Über mich

    Über mich

    Martin Lechtschewski

    Randonneur & Blogger

    Hi, ich bin Martin und das Radfahren ist eine der wichtigsten Konstanten in meinem Leben. Die Faszination für Abenteuer hat mich zunächst zum Radreisen gebracht. Damals rollte ich noch behäbig über Tage bis Wochen mit 40 Kilo Gepäck über die Straßen Europas. Dabei war es immer diese eine Frage, die mich antrieb, weiter in die Pedale zu treten: "Wie ist es wohl auf den Sattel zu steigen und aus eigener Kraft eine anfangs scheinbar unwirkliche Entfernung zu überwinden, hohe Berge zu bezwingen, fremde Länder zu durchqueren und verschiedensten Menschen zu begegnen?"

    Heute kann ich sagen, es ist vor allem eine Begegnung mit sich selbst. Der Moment des Starts und das Erreichen des Zieles spielen am Ende nur Nebenrollen -  Es geht vor allem um die Wege dazwischen.

    Da es der Alttag nicht ohne weiteres zulässt, 5-6 Wochen am Stück auf dem Rad zu verbringen, landete ich schließlich beim Renndradfahren auf langen Strecken mit möglichst wenig Gepäck. Statt einen Monat bin ich dabei nur ein paar Stunden (bisher nicht mehr als 86) unterwegs und tauche schon mit der ersten Pedalumdrehung ins Abenteuer ein. Heute sagt man dazu Ultracycling, vielleicht auch Bikepacking

    Mir geht es um DIE WEGE DAZWISCHEN