Dresden - Prag - Dresden
Route auf KomootLa Primavera
Mit Blick auf das Wochenende und den UCI-Rennkalender plane ich auch, einen ersten 300er unter die Räder zu nehmen. Nachdem es Anfang April mit dem Sachen-3er doch etwas zu früh für mich war, bewegen sich die Temperaturen langsam wieder in einen Bereich, der Vorfreude auf Kurz-Kurz macht. Die Route ist schnell klar. Da die Leipzig-Prag-Tour, die seit 15 Jahren den Radlausicker Saisonauftakt der Langstrecke bedeutet, die letzten Male leider der Pandemie zum Opfer fiel, ist ein alternativer Auftakt im Solo schnell gefunden: Dresden-Prag-Dresden (@Radlausick-Prag-Crew: Keine Angst, das ist kein Ersatz).
Endlich wieder leiden
Am Samstag noch gemütlich anderen in Italien beim Leiden zugesehen, will ich am Sonntag endlich selbst Mal wieder etwas davon haben – Solidarität unter Radfahrern halt. Das erste Leiden beginnt bereits 4:15 als mein Wecker klingelt. Wenn ich nur eher angefangen hätte, die Tour vorzubereiten, hätte ich etwas mehr Schlaf abfassen können. Es gibt auch nach all den Optimierungen der vielen Leipzig-Prag-Touren auch Sachen, die ändern sich wohl nie. Zum Glück ist noch genug Pasta vom Vorabend im Topf – dazu 2 Espressi (Randonneurs-Frühstück deluxe) und ab geht’s – erstmal allerdings auf die Toilette.
Berge -das Rezept gegen Frieren
Durchs dunkle Elbtal geht es hinein in die Dämmerung. Ich habe meine Routenplanung aber genau im Kopf (ist ja erst wenige Stunden Schlaf alt) und weiß, dass mir gleich warm werden wird. In Pirna verlasse ich nämlich die Elbe und steche Richtung Süden über den Kamm. Durch Bergießhübel geht es Richtung tschechischer Grenze. Vorbei an verdutzt schauenden Gartenzwergen, dem Night Club im Einfamilienhaus und – nicht zu vergessen – „Cindy`s Nails-Studio“ erklimme ich den Kamm.
Leiden in Softshell
Das Garmin zeigt -1,5°c. Die Temperaturdifferenz ist um diese Jahreszeit eine kleine Herausforderung. Ich versuche es heute mit einer dünnen Softshell in Kombintion mit dünnen Armlingen, Beiliegen und Überschuhen. Kalt ist mir bisher nicht, auch wenn ich Respekt vor der ersten Abfahrt habe. Ich hätte auch flach an der Elbe bleiben können, aber ich denke bei den Windverhältnissen (hart aus Südost) und meinem Etappenziel (straight in Südost) bieten ein paar Hügel vielleicht etwas Windschatten. Auch dieser Plan geht zunächst auf. Auf dem Kamm knallt mir die kalte Luft dann aber voll vor den Bug. Auch wenn die Straße flacher wird, steigt die Geschwindigkeit überhaupt nicht – der Frust hingegen schon. Kurz darauf stürze ich mich in die Abfahrt. In der ersten Kurve bemerke ich, dass ich keine Hände mehr habe oder zumindest keine, die ich spüren kann. Winterhandschuhe wären jetzt ganz nett gewesen. So heißt es, Leiden in Softshell. Naja – zum Glück kein Alpenpass.
Bier oder Prag
Im Tal bietet aber bereits der nächste Hügel seinen Windschatten an. Jetzt sind die Temperaturen auch optimal für meine Kleiderwahl. Ich habe doch noch zwei Hände. Richtung Litomerice geht es noch einmal hoch und runter, bevor es mehr oder weniger topfflach wird. Ab jetzt kann ich mich auch nicht mehr vor meinem gefürchtetsten Gegner verstecken. Mit voller Breitseite bläst er mir frontal ins Antlitz. Eine 3 sehe ich auf dem Garmin schon lange nicht mehr vorn. Fühlt sich an, wie mit einem Platten und schleifender Bremse eine Rampe hochzufahren. Nach einer kurzen Tankstellenpause und der Investition in 1,5 Liter tschechisches Wasser … Ich denke kurz über ein Bier nach, aber mir dämmert, dass ich danach sofort umdrehen würde und mich vom böhmischen Wind wieder Heim blasen lassen würde. Nein, das ist kein Option. Wie soll denn das bitte auf Strava aussehen? „Dresden – Tankstelle vor Veltrusy – Dresden?!“ Nein, wirklich keine Option! Eine gute Entscheidung. Es geht es über wunderbare, kleine Straßen entlang der Moldau und schließlich auf den Radweg direkt am Fluss in die Vorstadt. Ich habe noch nie einen entspannteren Weg nach Prag hinein gehabt. Allerdings habe ich heute keine Zeit für ein Straßenkünstler-Porträt auf der Karlsbrücke, also bleiben meine Füße eingeklickt und es geht direkt wieder Richtung Heimat.
Mit Support aus Südost
Für den Heimweg habe ich die Route gewählt, die ich im letzen Jahr gemeinsam mit Anne gefahren bin. Auch das ist zumindest an einem Sonntag (mit wenigen Ausnahmen um Melnik und Decin) eine sehr idyllische Strecke. Der Wind ist zum Glück immer noch mit von der Partie. Über die flachen Felder bläst er mich jetzt mit 40+ übers Land. Warum denn nicht immer so?
Noch ein Berg wartet auf mich – mein tschechischer Freund (diverse Pragtouren verbinden uns) hinauf nach Loveckovice und abschließend hinab ins Elbtal. Auch mit einer gewissen Vorbelastung in den Beinen fährt er sich für mich um einiges leichter, weil ich weiß, was da vor mir liegt. Über Usti und Decin folge ich der Elbe quasi auf die Hauseinfahrt. Da es nicht so besonders warm ist, bleibt der Elbradweg für einen Sonntag relativ leer. Spaziergänger-Stop-and-Go entfällt und ich komme in einen meditativen Zustand, in dem ich mir bereits visualisiere , wie ich gleich eine große Pizza vor mir haben werden – belegt mit kleinen Pizzen, da ich mich nicht entscheiden will.
Das war ein schöner Startschuss in den Frühling. Ab nächster Woche nehmen Anne und ich erstmal ein paar südlichere Gefilde unter die Räder – und vielleicht auch schon den ein oder anderen richtigen Berg in Kurz-kurz. #ferien
Tour
Details
Von Dresden aus ein wunderbare Klassikerstrecke, die man im Sommer gut mit einem ausgiebigen Gulasch-Stopp und einer Kaffeepause im mittelalterlichen Melnik verbinden sollte. Ich würde immer auf dem Hinweg über den Kamm fahren, es sei denn, man pflegt sadistische Züge. Außerdem verpasst man eine der schönsten Provence-Abfahrten ins tschechische Elbtal und muss stattdessen im Schlaglochslalom oben von Loyeckovice nach Süden zurück ins Tal.
- Anspruch (Gesamt) 80%
- Klettern 40%
- Abwechslung 50%
- Untergrund 70%
- Mentaler Anspruch 75%
Über mich
Martin Lechtschewski
Randonneur & Blogger
Hi, ich bin Martin und das Radfahren ist eine der wichtigsten Konstanten in meinem Leben. Die Faszination für Abenteuer hat mich zunächst zum Radreisen gebracht. Damals rollte ich noch behäbig über Tage bis Wochen mit 40 Kilo Gepäck über die Straßen Europas. Dabei war es immer diese eine Frage, die mich antrieb, weiter in die Pedale zu treten: "Wie ist es wohl auf den Sattel zu steigen und aus eigener Kraft eine anfangs scheinbar unwirkliche Entfernung zu überwinden, hohe Berge zu bezwingen, fremde Länder zu durchqueren und verschiedensten Menschen zu begegnen?"
Heute kann ich sagen, es ist vor allem eine Begegnung mit sich selbst. Der Moment des Starts und das Erreichen des Zieles spielen am Ende nur Nebenrollen - Es geht vor allem um die Wege dazwischen.
Da es der Alttag nicht ohne weiteres zulässt, 5-6 Wochen am Stück auf dem Rad zu verbringen, landete ich schließlich beim Renndradfahren auf langen Strecken mit möglichst wenig Gepäck. Statt einen Monat bin ich dabei nur ein paar Stunden (bisher nicht mehr als 86) unterwegs und tauche schon mit der ersten Pedalumdrehung ins Abenteuer ein. Heute sagt man dazu Ultracycling, vielleicht auch Bikepacking.
Mir geht es um DIE WEGE DAZWISCHEN