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200 KM Solo

Route auf Komoot

Vorbereitung auf Paris

Es ist wieder soweit. Im August 2023 werden sich wieder tausende Radsportfreunde in Paris treffen, um sich der aller 4 Jahre ausgetragenen Herausforderung Paris-Brest-Paris zu stellen – 1200 Kilometer auf mit dem Rad mehr oder weniger non-stopp zum Atlantik und zurück. 

Mehr zu  meinen Eindrücken Paris-Brest-Paris 2019 findet ihr hier.

Für mich persönlich wird es nach 2015 und 2019 meine dritte Teilnahme sein und ich werde versuchen, euch mitzunehmen durch alle Phasen der Vorbereitung – sowohl mental als auch ausrüstungstechnisch und „taktisch“. 

Kein Coffee-Ride

Der Startschuss zur Qualifikation fällt für mich vergangenen Samstag in Gießen. Mit einer wenig einladenden Wetterprognose schlürfe ich meinen Kaffee in der Bäckerei Künkel am Stadtrand, die als Startort fungiert. Nach und nach treffen meine Leidensgenossen ein. Etwas weniger als 100 werden es an diesem Tag sein. Ja, hohe Gewitterwahrscheinlichkeit und strammer Wind um die 35km/h aus Südwesten mit Böhen über 50km/h kündigen nicht gerade einen Coffee-Ride an.

Da die Temperaturen aber irgendwann den zweistelligen Bereich erreichen werden, entscheide ich mich für kurze Hosen und Knielinge, packe aber meine Füße so wasserdicht wie möglich ein, was sich als gute Idee herausstellen soll.

30 Prozent müssen reichen

Als ich mein Rad gerade aus dem Auto lade und zusammenbaue, bemerke ich, dass mir die Ladung der DI2-Schaltung nur noch 40% anzeigt, obwohl ich sie eigentlich zu Hause geladen hatte – offenbar nicht richtig. Ich fühle mich etwas wie ein Brevet-Rookie. „40% sollten aber reichen“, denke ich mir, als ich vom Auto zum Start rolle und testweise etwas hin und her schalte. Klack, klack…die Anzeige springt auf 30%. Toll, das ist gut für den Kopf, aber ich kann es eh nicht ändern und denke, dass ich zur Not auch ohne Umwerfer irgendwie durchkomme und zur allergrößten Not die letzten Kilometer auch im Singlespeed – So verlangt es der Brevet-Spirit 🙂

Punkt 8:30 Uhr geht es los. Das heißt, erstmal in der e-Brevet-App das obligatorische Startfoto machen und dann losrollen. Da einige mit der traditionellen Brevetkarte direkt starten, gibt es keinen klassischen Gruppenstart, sondern das Feld verteilt sich direkt von Anfang an. Das Profil der Strecke verspricht zunächst einen kontinuierlichen Anstieg bei schönem Rückenwind. Ich rolle allein von Grüppchen zu Grüppchen nach vorn und schaue, ob es ein paar Randonneure gibt, denen ich mich zunächst anschließen kann. Allerdings dauert es nicht sehr lange, da bin ich breiter Flur allein vorn im Wind. Angesichts des Gegenwinds, der uns auf dem mittleren Streckenabschnitt erwartet nicht so optimal, aber wer weiß, was bis dahin passiert. Also trete ich erstmal rein.

Die Luft ist raus

Die erste Kontrolle in Ober-Ofleiden und kurz darauf die Zweite in Ulrichstein erreiche ich recht zügig und vor allem trocken. Jetzt ändert sich der Kurs gen Westen und genau aus der Richtung verheißt der Himmel nichts Gutes. Wenige Augenblicke später setzt ein heftiger Guss ein. Ich versuche es zunächst mit der Regenjacke, aber als der Regen seinen Aggregatzustand zu Hagel verändert, entscheide ich, dass es jetzt keinen Sinn macht, weiterzufahren. Glücklicherweise sorgt der starke Gegenwind auch dafür, dass das Gewitter recht schnell weggeblasen wird. Nach etwa 10 Minuten Zwangspause kann es weitergehen, aber nicht sehr weit. An einem Anstieg bemerke ich auf einmal, dass meine Bewegungen sehr gedämpft werden. Das kann nicht allein an der gefederten Sattelstütze liegen. Ich halte an und prompt bestätigt sich mein Verdacht. Ich habe hinten einen Schleicher. Mit der restlichen Luft im Reifen suche ich mir irgendeinen Ort, der besser geeignet ist für einen Schlauchwechsel als das offene Gelände, denn der Regen setzt passenderweise wieder rechtzeitig ein. Leider kommt keine überdachte Bushaltestelle, wenn man sie gerade braucht.

Nach einer Viertelstunde Schlauchwechsel im Wasser von allen Seiten kann ich meine Fahrt fortsetzen. Der Regen hört auf und es gibt das erste Mal so etwas wie Sonnenstrahlen am Himmel. Nach 107 Kilometern erreiche die Kontrolle 3 in Rockenberg. Hier im Edeka muss ich das erste Mal meine Vorräte auffüllen. Allerdings kauft hier zur Mittagszeit das ganze Dorf ein. 10 Minuten an der Kasse für einen Flasche Wasser und einen Himbeer-Kefir. Nachdem ich endlich wieder loskomme, rollt gerade ein kleines Randonneuers-Gruppetto ein. Da ich mit meiner Pause durch bin, rolle ich aber allein weiter. 

Zielsprint

Auf dem folgenden offene Gelände macht mir der Wind von vorn ganz schön zu schaffen. Ich schaue nur noch auf meinen Puls und nicht mehr auf die Geschwindigkeit – ich habe an dieser Stelle aus meinen Fehlern der Vergangenheit gelernt. 😜

Um 14:00 Uhr erreiche ich in Braunfels die Durchfahrtskontrolle 4. Ab hier sind die Windverhältnisse wieder zu meinen Gunsten und ich kann mich Abschnittsweise wieder durch die Täler blasen lassen.  Mittlerweile ist der Himmel blau und es stellt sich Randonneurs-Feeling ein. Über Mittelbar (Kontrolle 5) erreiche ich schließlich nach 7 Stunden und 50 Minuten und 200 Kilometern das Ziel in Gießen. Dort treffe ich noch niemanden. Trotz der guten Beine an diesem Tag denke ich mir aber, dass Paris auch mental noch unendlich weit weg ist.

PS: Der DI2-Akku hatte im Ziel noch 25 Prozent. 

Jetzt freue ich mich erstmal mit Anne in Südtirol ein paar Höhenmeter auf dem Renner zu sammeln. Die kamen uns bisher zu kurz in diesem Jahr.

 

Tour

Details

 

  • Anspruch (Gesamt) 40% 40%
  • Klettern 25% 25%
  • Abwechslung 70% 70%
  • Untergrund 90% 90%
  • Mentaler Anspruch 25% 25%

Obwohl die Strecke auf recht großen Straßen verläuft, ist sie über weite Teile recht verkehrsarm. Viele Burgen und Fachwerk säumen den Weg.

 

Über mich

Über mich

Martin Lechtschewski

Randonneur & Blogger

Hi, ich bin Martin und das Radfahren ist eine der wichtigsten Konstanten in meinem Leben. Die Faszination für Abenteuer hat mich zunächst zum Radreisen gebracht. Damals rollte ich noch behäbig über Tage bis Wochen mit 40 Kilo Gepäck über die Straßen Europas. Dabei war es immer diese eine Frage, die mich antrieb, weiter in die Pedale zu treten: "Wie ist es wohl auf den Sattel zu steigen und aus eigener Kraft eine anfangs scheinbar unwirkliche Entfernung zu überwinden, hohe Berge zu bezwingen, fremde Länder zu durchqueren und verschiedensten Menschen zu begegnen?"

Heute kann ich sagen, es ist vor allem eine Begegnung mit sich selbst. Der Moment des Starts und das Erreichen des Zieles spielen am Ende nur Nebenrollen -  Es geht vor allem um die Wege dazwischen.

Da es der Alttag nicht ohne weiteres zulässt, 5-6 Wochen am Stück auf dem Rad zu verbringen, landete ich schließlich beim Renndradfahren auf langen Strecken mit möglichst wenig Gepäck. Statt einen Monat bin ich dabei nur ein paar Stunden (bisher nicht mehr als 86) unterwegs und tauche schon mit der ersten Pedalumdrehung ins Abenteuer ein. Heute sagt man dazu Ultracycling, vielleicht auch Bikepacking

Mir geht es um DIE WEGE DAZWISCHEN