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Brevet 600 Sachsen

Route auf Komoot

Auf ein Neues

Neben dem 400er bei Björn in Dresden hatte ich mich auch für den 600er bei Olaf in Bennewitz angemeldet. Diese Strecke bin ich bereits dreimal gefahren. Man sollte meinen, ich könnte die Wegbeschreibung aus dem Kopf aufsagen.

Solo oder Gruppe?

Los geht es an einen Freitagabend. Ich quetsche mich samt Carina in der Regionalbahn nach Bennewitz. Dem 9-€-Ticket sei dank lehnt Carina schön weich an den anderen Fahrgästen in einem rappelvollen Zug. Das sind ja beste Vorbedingungen, aber wenigstens habe ich mich für eine frühere Verbindung entschieden, so dass ich in Bennewitz noch etwas Zeit habe. Nach 3 Jahren kann ich auch mit Olaf, dem Organisator, ein paar Worte wechseln, während die Mitstreiter nach und nach eintreffen. Unter den Randonneuren sehe ich viele bekannte Gesichter, aber auch ein paar Neue. Ich bin gespannt, wie sich die Gruppe verhält. Wir sind 40 Starter und begeben uns alle gleichzeitig auf die Strecke.

Zwei Kilometer halte ich es aus

Ich ordne mich irgendwo vorn ein und schaue mich um, ob jemand  Ambitionen hat, etwas zügiger zu starten. Allerdings sieht es nicht danach aus. Zwei Kilometer halte ich es aus, dann fahre ich los, immer wieder drehe ich mich um. Will keiner mitkommen? Dann halt nicht. Ich kenne die Strecke gut (zwar nicht so gut, wie ich meine, wie sich später noch herausstellt), das Profil liegt mir eigentlich gut. Es bleibt wellig bis zum letzten Kilometer. Nur die Anfahrt Richtung Harz gestaltet sich topfeben. Eigentlich ein schönes Profil, um zu Beginn in Gruppe zu fahren und so ein paar Körner zu sparen.

Erstmal solo

Allerdings möchte scheinbar noch keiner so recht. Ic fahre allein voraus und schau mal, wer später noch dazustößt. Hinter Leipzig entscheide ich mich für den Radweg auf der falschen Straßenseite und ende auf einer Gravelpiste neben der Bahntrasse. Der eigentliche Track verschwindet zusehends auf dem Display des Garmins. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich hoffe, mir nicht gleich einen Platten einzufangen und eiere irgendwie wieder Richtung Track. Endlich wieder Asphalt unter den Reifen, drücke ich aufs Pedal. In goldener Abendsonne geht es durch das schöne Seeburg und dann kommen auch schon die ersten Höhenmeter und ein toller Kopfsteinpflastersektor, dem ich beim letzten Mal auf dieser Runde meine Scheinwerferhalterung geopfert hatte. Diesmal nicht, mein Freund! Alles Equipment hält bombenfest. 

Tankstellentreff

Kurz vor der letzten Tankstelle für sehr lange Zeit in Klostermannsfeld bei Kilometer 125 sehe ich vor mir ein rotes Rücklicht leuchten. Das sieht aus wie ein Randonneur. Und tatsächlich, es ist Rico, mit dem ich einen großen Teil des sächsischen 1000ers 2018 gefahren bin. Ich frage ihn kurz, was los sei, weil ich verwundert bin, ihn hier so allein zu sehen. Er sei mit einer Gruppe untzerwegs gewesen, die auf den ersten 100 Kilomtern einen 32er Schnitt gebolzt habe. Dann habe er sie ziehen lassen. 

Wir treten weiter und sehen kurz darauf schon die Tankstelle. Dort schauen mich 3 verdutzte Gesichter an. Sie mussten auf dem Track an mir vorbeigerollt sein, während ich auf der Bahntrasse rumgegravelt bin. Zu viert starten wir wieder in die Nacht. Vorn im Wind wird ganz schön geprügelt. Für meinen Geschmack ist es etwas zu schnell, zumindest wenn ich meine Nase in den Wind halte. Dieses Intervallfahren bin ich nicht gewöhnt. An den Hügeln fällt die Gruppe immer wieder auseinander. Am Fuß des Brockens merke ich, dass die Intervalle in der Gruppe ihre Spuren hinterlassen haben. Ich lasse die drei ziehen und beiße erstmal in meine Tankstellen-Bifi. Danach pedaliere ich in meinem eigenen Rhythmus weiter und treffe die anderen am Gipfel. Da ich am Berg mein eigenes Tempo gefahren bin, brauche ich oben keine große Pause und kann gemeinsam mit den anderen wieder runterrollen. Wir fahren noch ein Stück zusammen, bevor sich kurz vor Sonnenaufgang unsere Wege trennen und wir in zwei Zweierformationen weiterrollen. Die beiden Berliner Randonneure lassen wir ziehen. Gemeinsam mit meinem Mitstreiter fahren wir wortlos dem Ende der Nacht entgegegen. Der Campingplatz hinter Hasselfeld kommt genau richtig, da ich seit geraumer Zeit trocken bin…also meine Flaschen von innen. Im Waschraum finden wir eine sprudelnde Rohrperle und füllen dankbar unsere Flüssigkeitsspeicher wieder auf. Die Strecke Richtung Kyffhäuser bringen wir zum Glück recht zeitig am Morgen hinter uns, denn die Straße ist eine klassische Heizerstrecke mit unbenutzbaren Radwegen. Kurz nach 6 Uhr an einem Samstag ist aber noch alles entspannt. Am Kyffhäuser finde ich endlich wieder meinen Rhythmus, nachdem ich die letzten 50 Kilometer irgendwie einen unrunden Tritt hatte. Vielleicht liegt es auch an der Aussicht auf das anstehende Frühstück in Bad Frankenhausen jenseits des Berges. Nach einer Genussabfahrt treffen wir die beiden Berliner wieder – natürlich beim Bäcker. 

Wieder solo

Nachdem wir wir fast die ganze Nacht gemeinsam verbracht hatten, konnten wir uns jetzt das erste Mal in unsere Gesichter schauen, die vorher von Brille, Helm und Finsternis voreinander verdeckt geblieben waren. So lernt man sich zwischen Kaffee, Cola und Supermarkttoilette nochmal ganz neu kennen. 

Nach einer kurzen Plauderei ziehen die beiden dann wieder weiter. Sehen sollen wir sie nicht mehr. Das Profil fordert auch nach den beiden „hohen“ Bergen noch einmal viel ab. Nach Brocke und Kyffhäuser sind in etwa nur die Hälfte der Höhenmeter geschafft. Nur dass es ab hier kaum noch schöne moderate Anstiege gibt, die man in einem stoisch fahren kann, sondern stattdessen 100 giftige Rampen. Allesamt nicht besonders lang. Einige nennt mein Garmin nicht mal Anstieg und ich denke mir dabei hin und wieder: Wenn das kein Anstieg ist, dann setze ich mich jetzt kurz auf den Lenker und du tritts den Anstieg hoch, der eigentlich keiner ist!“ Das kleine Gerät vor mir schweigt zurück, doch ich spüre, dass es sich ertappt fühlt.

Schließlich spüre ich, dass ich hier allein weiter muss und verabschiede mich von meinem Mitstreiter. Jetzt visualisiere ich mir ein schönes kaltes Weizen alkoholfrei. Das muss es an der südlichsten Kontrollstelle am Rasthof Berg doch geben. Das ist doch schließlich Bayern. Dort angekommen wartet allerdings weder ein Weizen noch eine andere Gaumenfreude auf mich. Ich kann den Tankstellenfraß nicht mehr sehen und versuche es mit Kakao. Das reicht für den Moment, aber ob mich das bis nach Hause bringt?

In meiner Erinnerung verlief die Strecke ab Berg relativ moderat. Im Laufe der vergangenen 3 Jahre hatte mein Kopf da wohl etwas „flat washing“ betrieben, denn flach ist hier nur der letzte Müsliriegel, den ich aus meiner Tasche ziehe. Noch bis Merane und dann bist du schon fast im Ziel. Natürlich geht es noch über die Steile Wand. Aber das ist nach allem, was jetzt schon hinter mir liegt, nur noch ein kleiner Pflasterstein und irgendwann beginne ich die Geschichten zu glauben, die ich mir selbst erzähle. Über kleine Dorfstraßen kommen mir die Ortschilder jetzt immer bekannter vor. Jeden noch seinen kleine Hügel nehme ich im Stehen mit. Der Brooks C13 hat sich für längere bergige Ausfahrten endgültig disqualifiziert.

In Frohburg bekomme 22:50 Uhr den letzten Stempel nach 630 Kilometern. Von hier aus geht es entlang der Wege, die ich bereits als Kind unter die Räder genommen habe. Glücklicherweise bleiben mir die 45 Kilometer Rückfahrt nach Bennewitz erspart, da Rad Lausick direkt in der Nähe des Ziels liegt. Ich denke an die armen Mitstreiter, die später,  nachdem sie den letzten Stempel geholt und eigentlich alles hinter sich gebracht haben, noch einen halben Hunni zurück zum Start pedalieren müssen. Das lässt sich sicher besser organisieren, insbesondere, weil Berg, der südlichste Punkt der Route, kein „Place to be“ ist und sich die Schleife nach Süden ohne diesen Rasthof verkürzen ließe, so dass man nach 600 Kilometern wieder am Start/Ziel ist und nicht nach 620 Kilometern gut 50 Kilometer weg vom Startort in der Pampa.

Nichtsdestotrotz mag ich die Runde. Ob trotz oder wegen ihres Profils kann ich an diesem Abend jedoch nicht beantworten. Ein offizielles Brevet werde ich dieses Jahr nicht mehr bestreiten, aber Langstreckenideen gibt es noch. 

 

Tour

Details

 

Die sächsischen Brevets sind bekannt für ihr vertikales Profil. Ein landschaftlich sehr abwechslungsreiche Tour. Der allmähliche Anstieg durch den Harz hält die Wärme in den Beinen, wenn die Sonne keinen Dienst mehr hat. Nach dem Brocken folgen aber noch einige durchaus anspruchsvolle Anstiege, von denen der Kyffhäuser nur den Anfang macht. Danach hat die Stecke ein ordentliches Klassiker-Profil – richtig flach wird es nie

I love it!

 

  • Anspruch (Gesamt) 70% 70%
  • Klettern 85% 85%
  • Abwechslung 98% 98%
  • Untergrund 70% 70%
  • Mentaler Anspruch 50% 50%

Über mich

Über mich

Martin Lechtschewski

Randonneur & Blogger

Hi, ich bin Martin und das Radfahren ist eine der wichtigsten Konstanten in meinem Leben. Die Faszination für Abenteuer hat mich zunächst zum Radreisen gebracht. Damals rollte ich noch behäbig über Tage bis Wochen mit 40 Kilo Gepäck über die Straßen Europas. Dabei war es immer diese eine Frage, die mich antrieb, weiter in die Pedale zu treten: "Wie ist es wohl auf den Sattel zu steigen und aus eigener Kraft eine anfangs scheinbar unwirkliche Entfernung zu überwinden, hohe Berge zu bezwingen, fremde Länder zu durchqueren und verschiedensten Menschen zu begegnen?"

Heute kann ich sagen, es ist vor allem eine Begegnung mit sich selbst. Der Moment des Starts und das Erreichen des Zieles spielen am Ende nur Nebenrollen -  Es geht vor allem um die Wege dazwischen.

Da es der Alttag nicht ohne weiteres zulässt, 5-6 Wochen am Stück auf dem Rad zu verbringen, landete ich schließlich beim Renndradfahren auf langen Strecken mit möglichst wenig Gepäck. Statt einen Monat bin ich dabei nur ein paar Stunden (bisher nicht mehr als 86) unterwegs und tauche schon mit der ersten Pedalumdrehung ins Abenteuer ein. Heute sagt man dazu Ultracycling, vielleicht auch Bikepacking

Mir geht es um DIE WEGE DAZWISCHEN