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300KM zum Mohnkuchen

Route auf Komoot

Ab ins Erzgebirge

Am vergangenen Samstag ging die Qualifikation für Paris-Brest-Paris in die nächste Runde. Nach einem wettertechnisch durchwachsenen 200er in Gießen sollte es diesmal der 300er in Dresden sein.

Rad Setup

Es ist Freitagabend als ich mein Rad-Setup zusammenstelle. Ich frage mich, ob die 300 noch ohne zusätzliche Powerbank zu stemmen sein werden oder, ob die Akkus von Navi, Telefon und Radar das nicht durchhalten werden? Ich kenne die Verbrauchswerte der einzelnen Geräte unter Idealbedingung und 12 Betriebsstunden sollten drin sein. Allerdings kenne ich auch Björns Track – 305 Kilometer, 5400 Höhenmeter. Da erscheinen mir die 12 Stunden Bruttozeit als machbar, aber ambitioniert. Die Frage, ob Powerbank oder nicht ist für mich eine grundlegende, da das das Zünglein an der Waage ist. Ohne würde ich auch versuchen auf die Rahmentasche zu verzichten, um das Setup so leicht wie möglich zu gestalten. Nach langem Hin-und-her soll es doch meine kleine Norco-Rahmentasche aus alten Zeiten werden, da wirklich nicht viel rein muss. Das Learning vom letzten Mal: Den Ladestand der DI2 checken und ab ins Bett. Nochmal kurz die Wetter-Apps gecheckt und die finale Entscheidung getroffen: Die Jacke spare ich mir.

Nach 3 Kilometern wieder allein

Am Samstag rolle ich nach Pasta und Espresso zum „Velodrom“ in Heidenau, wo sich an diesem Morgen etwa 60 Gleichgesinnte zusammenfinden. Nach einem kurzen Plausch mit den üblichen Verdächtigen 🙂 geht es aber auch schon los. Also noch schnell das Startkontroll-Selfie machen und ab auf die Strecke. Ich habe mir vorgenommen, die Strecke heute ambitioniert anzugehen und dann zu schauen, wie lange es gut geht. Allerdings ist eine größere Gruppe angesichts des Streckenprofils sehr unwahrscheinlich. Ich ordne mich erstmal vorn ein in einer 4-köpfigen Gruppe und rolle aus Heidenau heraus. Es dauert aber keine 3 Kilometer als der erste kleine Anstieg des Tages beginnt. Ich drücke am Berg schon gern mehr als in der Ebene, aber nach der ersten Welle bin ich doch etwas überrascht, dass keiner mitgezogen ist. Aber gut, vor uns liegen noch 299 Kilometer. Da kann noch viel passieren und vielleicht bekomme ich noch Gesellschaft vorn oder muss mich selbst wieder hinten in einer Gruppe verstecken, weil ich gerade zu viele Körner verpuste?

Kontrolle 1 und 2

Die erste Kontrolle am Schloss Rauenstein (KM75) erreiche ich recht fix und ich bin schon jetzt sehr froh, über meine Klamottenwahl. Ich hatte schon etwas Angst bekommen, als ich den Arzgebirgler Björn am Start in Lang-Lang (inkl. Langfingerhandschuhen und Überschuhen) begrüßte. Ich hatte mich schon nach den ersten Wellen von der Weste verabschiedet und auch die Armlinge heruntergekrempelt. Dass im Erzgebirge vor ein paar Tagen noch Schnee gelegen hatte, erscheint mir als Fake News, während sich erste Salz-Batik-Muster auf meinem Trikot bilden. Von Rauenstein geht es weiter in Richtung der zweiten Kontrolle bei Scharfenstein (KM98). Kurz vor der Kontrollstelle habe ich meinen ersten Tankstopp eingeplant. Außer Wasser brauche ich aber nichts weiter. Etwas Malto-Mischung habe ich dabei.

Die Tour beginnt mit der Planung

Ernährung auf Langestrecken ist sicher ein Thema, mit dem sich Bücher füllen lassen. Aber am Ende ist es auch etwas vollkommen individuelles, wie ich mir die notwendigen Kalorien zur richtigen Zeit zurückhole. Für mich persönlich ist es eine Kombintation aus Flüssignahrung aka. „Plempe“ 🙂 oder auch mal ein Ayran und hin und wieder etwas „Richtiges“. Für meine Malto-Mischung habe ich ca. 80g-Portionen in kleinen Tütchen dabei, die ich in eine meiner beiden Flasche fülle. Gerade, wenn es sehr warm ist, bin ich kein Freund von zwei Flaschen voll mit dickflüssiger Pampe. Da mag ich lieber, immer noch eine Flasche einfach nur mit Wasser dabei zu haben. An dieser Stelle kommt natürlich ein logistisches Problem auf, da ich ca. 80g auf 100 Kilometer rechne als Ergänzung zur übrigen Ernährung. Je länger die Strecken werden, umso mehr davon muss ich irgendwie transportieren. 2019 bei Paris-Brest-Paris hatte ich in Summe über 1kg Pulver mit dabei. Am Start kam ich mir vor wie ein Schmuggler. Das muss man auch wollen 🙂 Ich tendiere mittlerweile dazu, lieber etwas weniger mitzunehmen, da mein Malto-Appetit tendenziell mit den gefahrenen Kilometern abnimmt und ich auf früheren Touren die letzten Malto-Beutel wieder mit heimgebracht habe.

Es geht steiler

Bisher waren die meisten Steigungen moderat oder, wenn steil, dann nicht besonders lang. Das ändert sich mit dem Finale zur Kontrolle 3, dem Oberbecken des Pumpspeicherkraftwerks Markerbach (KM 136). Die Rampe dort hinauf wirft in mir die Frage auf, ob ich nicht schneller sei, wenn ich einfach schiebe. Ich hieve mich immer wieder in den Wiegetritt, um meine Oberschenkel zu entlasten. Aber durch die Kieselsteine auf dem Asphalt greift mein Hinterrad nicht mehr gut und dreht immer wieder durch. Also pedaliere ich schließlich doch im Sattel in guter Crosser-Manier Stück für Stück nach oben. Die letzten Kilometer führt der Anstieg wieder auf eine richtige Straße und die Steigung flacht in den einstelligen Bereich ab. Das fühlt sich nach der „Startrampe“ des Anstiegs fast an wie bergab zu fahren. Oben angekommen mache ich das obligatorische Kontrollfoto für die Brevet-App und rolle eine Ehrenrunde um das Staubecken – so verlangt es schließlich der Track. Anschließend geht es über die etwas kieselige Straße wieder runter. Allerdings lassen die nächsten Anstiege nicht lange auf sich warten. Auf einem graveligen Waldweg geht es (wieder hoch) Richtung Oberwiesenthal. Der Fichtelberg steht heute aus irgendeinem Grund nicht auf der Speisekarte. 

Nach der Kontrolle am Waldeck (KM 159) führt die Route hinüber auf die tschechische Seite. Hier habe ich meine zweite Tankstellenrast geplant. Endlich mal wieder eine eisgekühlte Kofola. Die ist sowas von nötig, denn danach geht es hoch zum meinem Kumpel, dem „Bären auf seinem Stein“ – und damit zur Kontrolle 5 (KM 175). Während ich gerade mein Kontroll-Selfie mache, spricht mich plötzlich eine Frau von der Seite an, die bis eben noch die herrliche Aussicht genossen haben zu schien. „Bist du einer von Björn?“ Ich muss wohl etwas verwirrt geschaut haben (sicherlich auch der 18%-Rampe geschuldet, die einen hier hoch führt 🤔). Sie stellt sich als Björns Mutti vor auch sein Vater wartet hier oben. Cool, wenn man in der Heimat auch noch Support von den Eltern bekommt. Ich verabschiede mich und weiter geht’s. Den Bärenstein habe ich letzten richtig steilen Anstieg im Kopf, aber mir ist auch klar, dass da noch ein paar Höhenmeter auf der Strecke warten. Dabei müssen die Anstiege zu diesem Zeitpunkt des Brevets nicht mehr so steil sein, um dennoch weh zutun. Die seichte Abfahrt nach Olbernhau durch das von schroffen Felswänden gesäumten Tals an der Natzschung entschädigt für die ein oder andere Schinderei des Tages.

Powered by Bifi

An der nächsten Kontrolle, der Saigerhütte (KM 221) habe ich auch meine dritte und damit letzte Tankstellenpause geplant. Die Versorgungspunkte funktionieren für mich heute ausgesprochen gut. Außer Wasser, einer Kofola, einem Kakao, einem Snickers und …ja…einer Bifi-Roll muss ich mir nichts kaufen an dem ganzen Tag. Wenn ich allein fahre, halte ich vorzugsweise an Tankstellen, da man hier das Rad nicht groß allein lassen muss (wie bei einem Supermarkt-Stop).

Das Brevet beginnt vor dem Start

Ich habe zwar meist ein kleines Kabelbinderschloss dabei, aber auch aus Effizienzgründen bieten sich Tankstellen an. Nur wenn ich etwas vernünftiges essen muss, schaue ich mich anderweitig um. Meine fixen Verpflegungspunkte suche ich mir mit Hilfe von Google Maps und plane sie über Garmin Connect als Wegpunkte ein. Vorteil ist dadurch, dass ich mir alle Wegpunkte (inkl. der Entfernung auf dem Track) schnell über Datenfelder auf dem Garmin anzeigen lassen kann und so jederzeit genau weiß, wie lange meine Flaschen noch halten müssen. Das ist für mich ein sicheres Netz. Natürlich halte ich auch mal, wenn ich etwas sehe, dass mir gerade zusagt.😉 Neben den Verpflegungspunkten füge ich mir auch sämtliche Kontrollpunkte als Wegpunkte ein. Das erspart mir die lästige Unsicherheit: „Was war jetzt nochmal die nächste Kontrollstelle?“

Von der Saigerhütte geht es zunächst auf einer etwas größeren Straße mit kontinuierlichem Anstieg über Einsiedel wieder auf die tschechische Seite und weiter Richtung Kliny. Ich erkenne den ein oder anderen Ort von vergangen Touren wieder. Den Trail sind wir schon mal mit dem MTB runtergekommen und an der Bushaltestelle haben wir schon mal einen Guss abgewartet. 

Die letzte Kontrolle auf der Strecke ist die Faje-Talsperre auf tschechischer Seite. Nachdem die meisten Höhenmeter jetzt der Vergangenheit angehören, folgen als Dessert 10 Kilometer feinster „tschechischer Flüsterasphalt mit Schlaglöchern als Beilage“ entlang des Erzgebirgskamms. Bei Nove Mesto erreiche ich endlich wieder einen angenehmen Untergrund. Ab hier geht es bergab Richtung Elbtal. Natürlich kommen mir die letzten Anstiege und Gegenwellen jetzt alle viel heftiger vor, als sie es eigentlich sind, aber ich rieche die Soljanka, die es gleich an der Radrennbahn geben wird, förmlich schon.

Den Mohnkuchen war es wert

19:45 rolle ich mit den letzten Sonnenstrahlen ins „Velodrom“ zu Heidenau. Die 35 Minuten Standzeit zeugen von einer effizienten Pauseneinteilung. Björns Soljanka steht der von Olaf aus Bennewitz in nichts nach. Nur gewinnt Björn mit seinem selbstgemachten Mohnkuchen. 

Ich hoffe, es gibt mehr davon beim 400er am 13. Mai.

Tour

Details

 

  • Anspruch (Gesamt) 90% 90%
  • Klettern 95% 95%
  • Abwechslung 75% 75%
  • Untergrund 70% 70%
  • Mentaler Anspruch 80% 80%

Ein wunderschöne Runde durchs Erzgebirge auf überwiegend kleinen Straßen und unzähligen Anstiegen. Vom Level lässt sich die Runde durchaus mit dem Stoneman vergleichen, aber der Bärenstein ist der einzige Gipfel, den die beiden Strecken gemeinsam haben.

 

Über mich

Über mich

Martin Lechtschewski

Randonneur & Blogger

Hi, ich bin Martin und das Radfahren ist eine der wichtigsten Konstanten in meinem Leben. Die Faszination für Abenteuer hat mich zunächst zum Radreisen gebracht. Damals rollte ich noch behäbig über Tage bis Wochen mit 40 Kilo Gepäck über die Straßen Europas. Dabei war es immer diese eine Frage, die mich antrieb, weiter in die Pedale zu treten: "Wie ist es wohl auf den Sattel zu steigen und aus eigener Kraft eine anfangs scheinbar unwirkliche Entfernung zu überwinden, hohe Berge zu bezwingen, fremde Länder zu durchqueren und verschiedensten Menschen zu begegnen?"

Heute kann ich sagen, es ist vor allem eine Begegnung mit sich selbst. Der Moment des Starts und das Erreichen des Zieles spielen am Ende nur Nebenrollen -  Es geht vor allem um die Wege dazwischen.

Da es der Alttag nicht ohne weiteres zulässt, 5-6 Wochen am Stück auf dem Rad zu verbringen, landete ich schließlich beim Renndradfahren auf langen Strecken mit möglichst wenig Gepäck. Statt einen Monat bin ich dabei nur ein paar Stunden (bisher nicht mehr als 86) unterwegs und tauche schon mit der ersten Pedalumdrehung ins Abenteuer ein. Heute sagt man dazu Ultracycling, vielleicht auch Bikepacking

Mir geht es um DIE WEGE DAZWISCHEN