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Brevet 600 Sachsen

Route auf Komoot

Mit Dirk gegen den Wind

Das letzte Mal in der Pflicht, in die Pedale zu treten – egal was komme. Zumindest für all diejenigen, die einen Ausflug nach Paris im August im Kalender stehen haben und denen noch die finale Fahrkarte (ein absolviertes 600KM-Brevet 2019) dahin fehlt. Nach grandiosen Bedingungen beim 200er war der Rest der Langstreckensaison für mich sehr bescheiden. Begleitet von Schnee, Regen, Wind, Kälte – kurzum allem, was mir die Frage nach dem Warum immer wieder durch den Kopf presste – Meter für Meter. „Paris“ flüsterte ich mir dann kontinuierlich zu. „Willst du es wirklich?“, ließ dann oft die Nachfrage in Form von noch mehr Regen, stärkerem Wind oder größerer Kälte nicht lange auf sich warten.

Brocken und Kyffhäuser sind nur der Anfang

Für den 600er wurde die Wetterprognose binnen einer Woche jeden Tag optimistischer. Dirk hatte sich bereit erklärt, mitzufahren. Die Route, die Olaf für dieses Jahr vorlegte, war mir noch in guter Erinnerung aus 2018. Damals hatte ich mich ab Kilometer 97 allein durchgekämpft über Brocken, Kyffhäuser,  das bergige Auf und Ab nach Berg und das hügelige Ausrollen durchs Vogtland. 8000 Höhenmeter zeigte mir das Garmin nach 630Kilometern und 26 Stunden und 30 Minuten um 21:00 Uhr in Frohburg, dem Zielort. Würden wir das dieses Jahr im Duett unterbieten können?

Am Start fanden sich ca. 50 Radverrückte ein. Ich blickte in viele bekannte Gesichter, lernte ein paar neue kennen oder traf das ein oder andere reale Gesicht, das ich bis dato nur aus der virtuellen Welt kannte. Viel Zeit zum Plausch hatte ich allerdings leider nicht, da ich vor dem Start noch irgendwie mein Vorderlicht mit Kabelbindern befestigt bekommen musste. Das Ding hatte sich pünktlich zur Brevetanreise auf einer kurzen Kopfsteinpflasterpassage unsanft verabschiedet. Zum Glück hatte ich alle Einzelteile von Lampe und Halterung wieder von der Straße lesen können, so dass ich das Setup jetzt mit einem halben Meter Gaffa und Kabelbindern an den Lenker schweißte. Die Lösung gefiel mir nicht wirklich, aber lieber so, als auf einer nächtlichen Abfahrt im Harz auf einer dieser holprigen Straßen, die ich noch aus dem letzten Jahr sehr präsent hatte, plötzlich mit 60 Sachen Schwarz zu sehen.

Im Duo nach vorn

18:30 rollten Dirk und ich mit der ersten Gruppe los. Vorn wurde gleich von den üblichen Verdächtigen das Tempo forciert. Wir rollten erstmal mit, wohlwissend, dass wir das nicht für 600 Kilometer so halten würden. Nach dem 400er hatte ich kaum noch auf dem Bock gesessen und war entsprechend träge unterwegs. Dirk, der zähe Hund, kommentierte das straffe Tempo zwar ein paar Mal, aber so richtig zu stören schien es ihn nicht. Kurz vor Klostermannsfeld holperten wir über feinstes Kopfsteinpflaster. Ich nahm etwas raus, um meine Lampe zu behalten. Hier verlor ich den Anschluss zur Gruppe. Am Ende des Sektorabschnitts wartete Dirk auf mich. Gemeinsam fuhren wir zu zwei anderen Mitstreitern auf und übersahen dabei, dass der Track rechts abgezweigt war. Wir entschieden uns parallel dazu weiterzufahren, da die Straßen wieder zusammenführen würden. Was wir nicht ahnen konnten, dass uns ein Kilometer Baustelle bevorstand. Der fest anmutende Untergrund entpuppte sich beim Darüberrollen als recht weicher Sand. Dazu ging es noch etwas bergauf. Die Gruppe würden wir wohl an der Verpflegungsstation nicht wiedersehen. 

Als wir die Tanke nach 125 Kilometern endlich erreichten, war weit und breit keiner von der Gruppe zu sehen. „Die müssen aber schnell durch sein“, dachte ich mir noch. Wir füllten unsere Getränkevorräte wieder auf und aßen eine Kleinigkeit. Gerade als wir wieder am Aufbrechen waren, kam plötzlich die fixe Gruppe von hinten angerollt. Es hatte einen Unfall und eine notdürftige Reparatur an einem der Räder gegeben, die sie aufgehalten hatte. Keinem war zum Glück etwas ernstes passiert.  Dirk und ich starteten gemeinsam mit unseren zwei neuen Begleitern. Nach ein paar Kilometern an den ersten Steigungen verloren wir die beiden hinter uns allerdings wieder. Da waren wir also zu zweit vorn in der dunklen Nacht. Langsam näherten wir uns dem Harz. Nach 80 Kilometern an der Front kam die sechsköpfige Turbogruppe um Björn und Nico vorbei gerauscht. Zu schnell für mich. Dirk war aber auch nicht böse. Schließlich hatte er sich für Sonntag beim Fichtelberg-Radmarathon angemeldet und brauchte da auch noch ein paar Körner nach dieser Tour :-)) 

Nachts sind komische Leute uterwegs

Marcus, der auch in der schnellen Gruppe mitrollte, hatte angekündigt, dass er es lieber etwas ruhiger angehen lassen wollte, aber seine Beine waren offenbar gut. Er rollte mit davon. Er wusste ja, wo er uns im Bedarfsfall finden würde. Als wir den Brocken erreichten, merkte ich, dass ich mal etwas feste Nahrung zu mir nehmen musste. Während Dirk langsam weiterkurbelte, hielt ich an, atmete die Stille kurz ein und kaute genüsslich auf meiner „Not-Kniffte“. Binnen weniger Augenblicke kehrte die Kraft zurück in die Beine oder ich spürte sie einfach nicht mehr – egal, es kurbelte sich fast von allein hoch zum Gipfel. Dabei tauchten immer wieder seltsame Nachtwanderer im Lichtkegel meines Scheinwerfers auf. „Komische Leute gibt es! – Laufen die nachts den Brocken hoch“, dachte ich mir und fuhr weiter. 😉

Gegen 3:10 standen wir oben an der Wetterstation. Kurz zuvor hatte ich die schnelle Gruppe nochmal an mir vorbei rauschen sehen, als sie bereits wieder ins Tal rollten. Dirk und ich hielten noch einmal in Schierke am Zeltplatz, um Trinkwasser aufzufüllen. Eine geöffnete Tanke würde noch lange auf sich warten lassen. Es dauerte hingegen aber nicht mehr lange, bis die Dämmerung einsetzte und die Vögel den neuen Tag begrüßten. Es war Sommersonnenwende und damit die kürzeste Nacht des Jahres. Bald war es taghell und wurde von Minute zu Minute wärmer. Am Horizont zeigte sich bereits der Kyffhäuser, den es vor der Frühstückspause in Bad Frankenhausen noch zu überwinden galt. Kehre für Kehre schraubten wir uns nach oben, bevor die ersten Motorradfahren hier ihren Knieschliff trainierten. Danach wartete endlich ein frisch gebrühter Kaffee beim Bäcker auf uns. Eine Dame vor mir erklärte der Verkäuferin, dass sie direkt von der Nachtschicht komme und jetzt gleich erstmal schlafen gehe. Ich musste etwas schmunzeln, verkniff mir aber einen Kommentar. Unsere Schicht würde noch etwas gehen.

Am Ende nur noch ein wenig nach Norden

Von Bad Frankenhausen kämpften wir stetig gegen den Wind. Im Duett rotierten wir, um unsere Kräfte einzuteilen. Aber das Ganze war doch ganz schön anstrengend. In Bad Sulza füllten wir unsere Vorräte wieder auf. Ich erinnerte mich aus dem Vorjahr nicht an die Beschaffenheit der Straßen, die jetzt vor uns lagen. Über eine regelrechte Auto-Heizer-Strecke rollten wir mit konstantem Gegenwind nach Süden. Obwohl es trocken und warm war, kam in mir erneut die Frage nach dem „Warum?“ hoch. Angesichts der Tristesse dieser stark befahrenen Passage konnte die einzig stimmige Antwort nur „Für Paris!“ lauten. Denn Spaß machte dieser Abschnitt überhaupt nicht.

Kurz vor Berg wurde es wieder angenehmer, als die ersten längeren Anstiege auf kleineren Straßen vor uns lagen. In Berg, dessen Name nicht von ungefähr kommt, hielten wir kurz, um Kraft für die letzten 130 Kilometer zu tanken. Hier trafen wir noch Martin, der die Gruppe vorn verlassen hatte, um seinen eigenen Rhythmus zu fahren. Nachdem auch wir wieder Richtung Norden starteten, setzte das erste Mal der Regen ein, der sich schon lange am Himmel angekündigt hatte. Allerdings so heftig, dass wir beschlossen, den Guss abzuwarten, was des Windes sei dank, nicht lange dauerte. 

Die letzten Kilometer verflogen nur so, da wir das Ziel zum Greifen nah hatten. Schon längst war mir klar, dass wir hinter der Zeit vom letzten Jahr landen würden. Aber jedes Brevet ist nun mal anders. Dennoch bin ich zufrieden nach dem letzten großen Materialtest vor PBP. Und etwas Spannung bleibt auch diesmal, da ich mit meinem Lichtsetup in Kombination mit den Aerobars alles andere als zufrieden bin. Ich habe dazu aber schon eine Idee, die ich dann in Paris auf ihre Praxistauglichkeit testen werde. Solange ich diesmal auf meinem eigenen Rad fahren kann, ist doch alles gut! 😉

Tour

Details

 

Die sächsischen Brevets sind bekannt für ihr vertikales Profil. Ein landschaftlich sehr abwechslungsreiche Tour. Der allmähliche Anstieg durch den Harz hält die Wärme in den Beinen, wenn die Sonne keinen Dienst mehr hat. Nach dem Brocken folgen aber noch einige durchaus anspruchsvolle Anstiege, von denen der Kyffhäuser nur den Anfang macht. Danach hat die Stecke ein ordentliches Klassiker-Profil – richtig flach wird es nie

I love it!

 

  • Anspruch (Gesamt) 70% 70%
  • Klettern 85% 85%
  • Abwechslung 98% 98%
  • Untergrund 70% 70%
  • Mentaler Anspruch 50% 50%

Über mich

Über mich

Martin Lechtschewski

Randonneur & Blogger

Hi, ich bin Martin und das Radfahren ist eine der wichtigsten Konstanten in meinem Leben. Die Faszination für Abenteuer hat mich zunächst zum Radreisen gebracht. Damals rollte ich noch behäbig über Tage bis Wochen mit 40 Kilo Gepäck über die Straßen Europas. Dabei war es immer diese eine Frage, die mich antrieb, weiter in die Pedale zu treten: "Wie ist es wohl auf den Sattel zu steigen und aus eigener Kraft eine anfangs scheinbar unwirkliche Entfernung zu überwinden, hohe Berge zu bezwingen, fremde Länder zu durchqueren und verschiedensten Menschen zu begegnen?"

Heute kann ich sagen, es ist vor allem eine Begegnung mit sich selbst. Der Moment des Starts und das Erreichen des Zieles spielen am Ende nur Nebenrollen -  Es geht vor allem um die Wege dazwischen.

Da es der Alttag nicht ohne weiteres zulässt, 5-6 Wochen am Stück auf dem Rad zu verbringen, landete ich schließlich beim Renndradfahren auf langen Strecken mit möglichst wenig Gepäck. Statt einen Monat bin ich dabei nur ein paar Stunden (bisher nicht mehr als 86) unterwegs und tauche schon mit der ersten Pedalumdrehung ins Abenteuer ein. Heute sagt man dazu Ultracycling, vielleicht auch Bikepacking

Mir geht es um DIE WEGE DAZWISCHEN