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Die Heimat der Sieger

Eine ganze Weile stand das Land bereits auf unserer Bucket-List. Schon oft durchgefahren, manchmal gehalten und festgestellt wie schön es hier eigentlich ist… und dann doch weitergefahren. Das kleine Slowenien war uns tatsächlich bislang nur als Transitstation ins touristische Kroatien bekannt, dabei bietet es so viel, das das Rennradfahrerherz höher schlagen lässt: Kleine gut asphaltierte Straßen, schöne Täler, einsame Wälder, epische Anstiege, gemütliche Cafés, freundliche Menschen und guten Wein.

In diesem Herbst haben wir es endlich geschafft, selbst einzutauchen in die Heimat etlicher Radsportgrößen. Ob Grand-Tour-Gewinner Pogačar und Roglič, den frischgebackenen Gravel-Weltmeister Matej Mohorič, aber auch Langstrecken-Spezialisten wie Marko Baloh stammen aus Slowenien. Nur einen echten Sprinter hat das 2 Millionen Einwohner zählende Land noch nicht hervorgebracht. Den Grund dafür haben wir auf unserer einwöchigen Rundreise schweißtreibend „erfahren“ (Sorry für das schlechte Wortspiel). „Slovenia is a hilly country.“ hatte uns unser Tour-Organisator Nejc bereits vorgewarnt. 

Da die Entscheidung zu der Reise relativ spontan kam und wir möglichst viel von Land und Leuten mitnehmen wollten, hatten wir ursprünglich eine geplante Etappen-Tour inkl. Gepäcktransfer im Kopf. In der Rechereche ist Anne dann bei „Quael dich“ auf einen echten Insider-Tipp gestoßen: Nejc von slovenia-cycling.com. Der Sportjournalist und einstige Trainingspartner von Mohorič hat sich nebenbei zum Ziel gesetzt, Radsporttouristen die Vielfältigkeit seiner Heimat erleben zu lassen. 

Er hörte sich zunächst an, was wir uns vorstellten und uns anschließend vorgeschlagen, dass wir auch selbst mit unserem Auto von Station fahren könnten, mit jeweils 1 bis 3 Übernachtungen am jeweiligen Ort und entsprechenden Rundkursen. Auf unsere Vorstellungen hin hat Nejc uns dann die Strecken geplant, einschließlich seiner persönlichen Highlights. Da er nach wie vor selbst passionierter Biker ist, fühlten wir uns sofort verstanden. Und auch Annes Wunsch, dafür zu sorgen, dass ich am Abend genauso schwere Beine habe, ist er verständnisvoll nachgekommen. An einigen anstiegsreichen Tagen, hielt mein Track noch ein paar „Höheneter-Extensions“ parat für mich. 🙂

Also Belohnung warteten am Abend immer wunderschöne Sonnenuntergänge in besonderen Unterkünften auf uns. Auch die hätten wir ohne Nejc`s Hilfe nie gefunden. Danke dafür. Für alle, die selbst Slowenien auf dem Rennrad entdecken wollen, slovenia-cycling.com ist die richtige Adresse.

Julische Alpen

Schon bei unserer Ankunft in unserer ersten Unterkunft fühlen wir uns sehr willkommen. Die Hotellobby ist eine Art Hall of Fame des slowensichen Radsports. An der Decke hängen überall die Original-Trikots vergangener und akuteller Stars. Pogi und Mohorič stammen hier aus der Hood und werden entsprechend besonders gehuldigt. Direkt am Hotel gibt es auch noch einen sehr kompetenten Bike-Service. Dem Mechaniker fallen die beiden Deutschen direkt als echte Radfahrer auf, deren Böcke mehr wert sind als das Auto, aus dem sie geladen werden 🙂 Die ersten Tage verbrigen wir in der Gegend um Bled in den julischen Alpen. Nach einem Einroll-Tag geht es erstmal nach Kranj. Nach einer herrlichen Panoramauffahrt über den Jamnik und die dort exponierte Kirche geht es auf den Smarjetna Gora, den Hausberg von Kranj. Nachdem wir uns die Wand hochgekämpft haben, wird mir schnell klar, dass es in dieser Gegend wohl keinen KOM zu holen gibt. Den Hausberg teilen sich z.B. zeitleich Pogi und Matej :-). Aber wir sind ja hier auch zum Genießen. Doch Genuss und sanfter Schmerz gehören in Slowenien irgendwie zum Radfahren dazu. Es gibt sehr wenige flache Meter. Auch in den „Tälern“ ist es meist hügelig. Am dritten Tag recht es uns aber mit den Hügeln. Da steht mal ein richtiger Berg auf dem Programm – Der Vršičpass, der höchste Sloweniens. Erbaut wurde die einstige Kopfsteinplasterstraße 1915-1916 von russischen Kriegsgefangen als Militärstraße für Österreich-Ungarn. Die 50 Kehren führen von Kranjska Gora im Norden über eine Höhe von 1611 Metern bis hinunter nach Trenta im Soca-Tal. Wir winden uns dabei zunächst den Nordanstieg hoch. In den Kehren balanciert man über das teilweise etwas löchrige Kopfsteinpflaster, auf den Geraden knetet man über rauen Asphalt. Diese Seite ist sicherlich besser für den Aufstieg geeignet. Ich teile mir den Aufstieg mit einer Hand voll Autos und ein paar Motorädern und auf den letzten Metern noch ein paar Schafen. Der Blick auf die Felsmassive links und rechts der Straße ist atemberaubend. Oben angekommen, hole ich mir am Kiosk schnell etwas Zuckerwasser, bevor ich mich auf der Südseite in die Absfahrt stürze. Hier ist der Asphalt deutlich besser. Auf der Abfahrt kann man es richting knallen lassen. Zum Glück machen auch die Autos Platz 🙂 Das Einzige, was mich etwas bremst, ist der Gedanke, dass ich jede einzelne dieser Kehren in ein paar Minuten noch einmal in Ruhe anschauen kann, wenn ich wieder hochfahren werde. Das ist der Deal mit den Extension. Am Dorfkiosk von Trenta atme ich kuzr durch. Hier beginnt das Soca-Tal, aber das steht heute noch nicht auf dem Programm. Für mich heißt es jetzt wieder zurück auf den Pass. Also wieder 26 Kehren hoch. Dort treffe ich Anne und gemeinsam geht es wieder auf der Nordseite zurück nach Kranjska Gora und von dort zurück nach Bled.

 

Soca Tal

Unser Ausgangspunkt für das Soca-Tal ist Zaga. Von dort starten wir aber zunächst in Richtung Bovec und dann nach Gorenji Log und weiter zur italienischen Grenze. Hier wartet ein moderater Anstieg, den wir gleich wieder zurück ins Soca-Tal zurückrollen. Hier biegen wir jetzt nach Trenta ab und rollen durch das traumhafte Tal. Dabei müssen wir einfach aller paar Meter anhalten, einfach weil es so schön ist. Nur ein Café finden wir nicht, dafür aber einen kleinen Automaten am Dorfkiosk in Trenta, den ich den Tag zuvor schon Mal von der anderen Seite aus besucht habe. Aber bei dieser Kulisse schmeckt auch mal Instant-Brühe.

Brda-Region – Heimat der Weine Tal

Nach unserem Start in den Julischen Alpen ziehen wir weiter in die Heimat der slowensichen Weine. Hier erwartet uns eine vollkommen andere Landschaft. Die weiträumige Hügelkulisse eröffnet eine Photoshop-Tapete nach der nächsten. Am Horizont dronen noch die Alpen, die wir jetzt hinter uns gelassen haben, aber auch die Weinberge haben ihren Namen nicht umsonst. Die Anstiege sind nicht mehr so lang, dafür aber steil. In der kleinen Gassen Gorizas fühlt man sich zurückversetzt in eine andere Zeit. Die Vorgärten der Dörfern sind hier und da mit rosa angemalten Fahrrädern geschmückt. Als wir die Grenze nach Italien überqueren, wird uns klar, dass wir uns auf der 15. Giro-Etappe 2021 unterwegs sind. Es ist auch nicht verwunderlich, dass die Italienrundfahrt Slowenien gern mal besucht. An einem kleinen verlassenen Grenzhäusschen zeugt noch ein verblasstes Transpartent vom zuzrückliegenden Grenzübertritt des Pelotons. Natürlich probieren wir auch den lokalen Wein, bevor wir zu unseren letzten Station weiterziehen.

 

 

Strandbesuch

Unsere letzte Station führt uns noch weiter nach Süden Richtung Adria. Aber auch auf dem Weg dorthin bleibt Slowenien seinem hügeligen Profil treu. Wir kämpfen uns noch die ein oder andere Rampe hoch, bevor schließlich das Meer am Horizont sehen. Am letzten Tag führt uns unsere Route dann direkt an den Stadtstrand von Triest. Auch hier erleben wir etwas italienische Badekultur aus einer vergangen Zeit. Und das in Originalbesetzung, auch wenn die Protagonsiten mittlerweile mit Rollator und Sauerstoffflaschen ausgestattet sind, hält sie das nicht davon ab, sich mit einer Gazette und Sonnenöl und Handtuch an der Promenade eizufinden. Wir genießen den Moment. Fahrrad und Meer – Zwei Symbole der Freiheit, die mich schon auf meinen ersten Radreisen begleitet haben. Slowenien, wir kommen wieder.

Über mich

Über mich

Martin Lechtschewski

Randonneur & Blogger

Hi, ich bin Martin und das Radfahren ist eine der wichtigsten Konstanten in meinem Leben. Die Faszination für Abenteuer hat mich zunächst zum Radreisen gebracht. Damals rollte ich noch behäbig über Tage bis Wochen mit 40 Kilo Gepäck über die Straßen Europas. Dabei war es immer diese eine Frage, die mich antrieb, weiter in die Pedale zu treten: "Wie ist es wohl auf den Sattel zu steigen und aus eigener Kraft eine anfangs scheinbar unwirkliche Entfernung zu überwinden, hohe Berge zu bezwingen, fremde Länder zu durchqueren und verschiedensten Menschen zu begegnen?"

Heute kann ich sagen, es ist vor allem eine Begegnung mit sich selbst. Der Moment des Starts und das Erreichen des Zieles spielen am Ende nur Nebenrollen -  Es geht vor allem um die Wege dazwischen.

Da es der Alttag nicht ohne weiteres zulässt, 5-6 Wochen am Stück auf dem Rad zu verbringen, landete ich schließlich beim Renndradfahren auf langen Strecken mit möglichst wenig Gepäck. Statt einen Monat bin ich dabei nur ein paar Stunden (bisher nicht mehr als 86) unterwegs und tauche schon mit der ersten Pedalumdrehung ins Abenteuer ein. Heute sagt man dazu Ultracycling, vielleicht auch Bikepacking

Mir geht es um DIE WEGE DAZWISCHEN